Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 14.05.2025 (Az. XI R 24/23) entschieden, dass die entgeltliche Übernahme ärztlicher Notfalldienste durch einen Vertreter eines eingeteilten Arztes umsatzsteuerfrei ist. Maßgeblich ist, dass es sich dabei um eine Heilbehandlung im Sinne des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG handelt, unabhängig davon, ob die Leistung unmittelbar gegenüber Patienten oder gegenüber dem vertretenen Arzt erbracht wird.
Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt oder eines vergleichbaren Heilberufs erbracht werden, von der Umsatzsteuer befreit. Diese Regelung basiert unionsrechtlich auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) 2006/112/EG, wonach Heilbehandlungen steuerfrei sind, sofern sie dem Schutz, der Aufrechterhaltung oder der Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit dienen.
Der Kläger war im Streitzeitraum 2012 bis 2016 als selbstständiger Allgemeinmediziner tätig und hatte mit der Kassenärztlichen Vereinigung eine Vereinbarung über die freiwillige Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst geschlossen. In diesem Rahmen übernahm er vertretungsweise Notfalldienste („Sitz- und Fahrdienste“) für andere Ärzte, die ursprünglich für diesen Dienst eingeteilt waren. Die Abrechnung erfolgte auf Stundenbasis gegenüber den vertretenen Ärzten ohne Ausweis von Umsatzsteuer. Zusätzlich rechnete der Kläger die im Rahmen dieser Dienste erbrachten Heilbehandlungen selbst ab, entweder direkt mit Privatpatienten oder über die Kassenärztliche Vereinigung bei gesetzlich Versicherten.
Daneben führte der Kläger für die Polizeibehörde Blutentnahmen durch, die ebenfalls ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis gegenüber der Landeskasse abgerechnet wurden. Für die Streitjahre gab der Kläger keine Umsatzsteuererklärungen ab, da er davon ausging, ausschließlich steuerfreie Leistungen zu erbringen.
Nach einer Außenprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die Vertretungsleistung im Notfalldienst eine sonstige Leistung gegenüber den vertretenen Ärzten sei, die keinen therapeutischen Zweck verfolge und daher umsatzsteuerpflichtig sei. Ebenso bewertete es die Blutentnahmen als steuerpflichtig. Es setzte daraufhin Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2012 bis 2016 fest. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ebenso erfolglos wie die anschließende Klage vor dem Finanzgericht Münster. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Begehren in Bezug auf die Vertretung im Notfalldienst weiter, nicht jedoch hinsichtlich der Blutentnahmen.
Der BFH hob das Urteil des Finanzgerichts auf und gab der Revision des Klägers teilweise statt. Er stellte klar, dass die entgeltliche Übernahme ärztlicher Notfalldienste auch dann als steuerfreie Heilbehandlung im Sinne des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG anzusehen ist, wenn sie gegenüber einem anderen Arzt und nicht unmittelbar gegenüber Patienten erbracht wird. Entscheidend sei, dass die Leistung dem Schutz der menschlichen Gesundheit diene und demnach einen therapeutischen Zweck habe, was auch auf Bereitschaftsdienste zutreffe, die der Sicherstellung einer zeitnahen medizinischen Versorgung im Notfall dienen.
Dabei griff der BFH auf die unionsrechtliche Auslegung des Begriffs der Heilbehandlung zurück und stellte fest, dass auch präventive oder unterstützende Maßnahmen, die mittelbar der gesundheitlichen Versorgung dienen, unter die Steuerbefreiung fallen können. Der Umstand, dass der Kläger nicht selbst in den Notfalldienst eingeteilt war, sondern den Dienst eines anderen Kollegen übernahm, ändere nichts an der heilberuflichen Qualität seiner Tätigkeit im Rahmen der Vertretung.
Hingegen bestätigte der BFH die steuerpflichtige Behandlung der für die Polizeibehörde durchgeführten Blutentnahmen, da diese keinen therapeutischen Zweck verfolgten, sondern der Sicherung eines straf- bzw. verwaltungsrechtlichen Verfahrens diene. Darüber hinaus erkannte das Gericht für die Streitjahre 2014 bis 2016 die Anwendbarkeit der Kleinunternehmerregelung gemäß § 19 UStG an, da der Kläger auf diese nicht verzichtet hatte und die maßgeblichen Umsatzgrenzen nicht überschritten wurden.
Mit seiner Entscheidung konkretisiert der BFH die Anforderungen an die Steuerbefreiung von Heilbehandlungsleistungen gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG und stärkt die Rechtsposition von Ärzten, die im Rahmen von Notfalldiensten als Vertreter tätig werden. Die Entscheidung betont, dass nicht die formale Zuweisung durch eine Kassenärztliche Vereinigung oder die unmittelbare Patientenbeziehung entscheidend ist, sondern die heilberufliche Zielsetzung der Leistung im Sinne der unionsrechtlichen Vorgaben.
Zugleich stellt der BFH klar, dass vorbereitende, vorsorgende oder unterstützende Tätigkeiten dem Schutz der Gesundheit dienen können und somit in den Anwendungsbereich der Umsatzsteuerbefreiung fallen. Für die Praxis bedeutet dies eine erweiterte Rechtssicherheit für ärztliche Vertreter im Bereitschaftsdienst.
Falls Sie ähnliche Fragestellungen oder weitere Informationen zur umsatzsteuerlichen Behandlung heilberuflicher Leistungen benötigen, wenden Sie sich gerne an die Expertinnen und Experten von SCHOMERUS.
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