Das Finanzgericht (FG) Münster hat mit Urteil vom 18.12.2024 (Az. 9 K 2015/21 Kap) entschieden, dass eine gemeinnützige unselbstständige Stiftung keinen Anspruch auf Erstattung einbehaltener Kapitalertragsteuer für Erträge hat, die vor dem Erlass des Feststellungsbescheides gemäß § 60a Abgabenordnung (AO) und vor Vollzug eines Vermächtnisses zugeflossen sind. Das Gericht verneinte das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit und stellte klar, dass bei fehlender rechtzeitiger Vorlage der Bescheinigung nach § 44a Abs. 7 Einkommensteuergesetz (EStG) eine vom Gesetzgeber gewollte Definitivbelastung eintritt.
Gemäß § 44a Abs. 7 EStG ist die Abstandnahme vom Steuerabzug bei Kapitalerträgen nur möglich, wenn dem auszahlenden Kreditinstitut eine gültige Bescheinigung des zuständigen Finanzamts vorliegt, welche die Steuerbefreiung des Empfängers belegt. Bei Körperschaften, die nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Körperschaftsteuergesetz (KStG) wegen der Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke steuerbefreit sind, ist dies bei erstmaliger Anerkennung durch eine Bescheinigung über die Einhaltung der satzungsmäßigen Voraussetzungen im Sinne der §§ 51, 59, 60 und 61 AO nachzuweisen. Diese Feststellung erfolgt nach § 60a AO regelmäßig auf Antrag und kann frühestens ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Errichtung der Körperschaft ausgesprochen werden.
Die Klägerin ist eine nicht rechtsfähige Stiftung, die durch testamentarische Verfügung errichtet wurde. Die Erblasserin hatte in ihrem Testament verfügt, dass bestimmte Kommanditaktienvermächtnisse an fünf gemeinnützige Stiftungen weitergeleitet werden sollen. Die Stiftungsträgerin, eine GmbH, sollte als Treuhänderin fungieren und die Erträge aus den Aktien an die begünstigten Stiftungen weiterleiten. Dem Testament der Stifterin lag zunächst nur ein Satzungsentwurf aus dem Jahr 2012 bei, der im Jahr 2018 überarbeitet und dem zuständigen Finanzamt vorgelegt wurde. Das Finanzamt bestätigte, dass dieser Entwurf grundsätzlich den Anforderungen des § 60a AO entspreche, wies jedoch darauf hin, dass ein Feststellungsbescheid erst nach tatsächlicher Errichtung der Stiftung möglich sei.
Im Jahr 2020 wurde die Stiftungssatzung schließlich verbindlich beschlossen und ein Feststellungsbescheid nach § 60a AO erlassen. In der Zwischenzeit – konkret in den Jahren 2017 bis 2019 – waren Kapitalerträge aus den Kommanditaktien durch das Kreditinstitut dem Nachlassdepot gutgeschrieben worden. Die darauf entfallende Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschläge wurden an das Finanzamt abgeführt, da dem Institut keine Freistellungsbescheinigung vorlag.
Die Klägerin beantragte im Jahr 2020 die Erstattung der abgeführten Kapitalertragsteuer und stützte sich dabei auf ein BMF-Schreiben zur Abgeltungsteuer (BMF v. 18.01.2016, IV C 1-S 2252/08/10004:017), das für Erbfälle auch nachträgliche Erstattungen vorsieht, sofern die materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung vorgelegen hätten. Die Klägerin argumentierte, dass die Erträge zivilrechtlich und wirtschaftlich von Anfang an ihr zuzurechnen seien und die gemeinnützige Verwendung der Erträge feststand. Zudem berief sie sich auf die Billigkeit, da der zeitliche Ablauf durch die Testamentsvollstreckung und eine verbindliche Auskunft zur steuerneutralen Übertragung verzögert worden sei.
Das Finanzamt lehnte den Antrag ab und verwies auf die fehlende Freistellungsbescheinigung zum Zeitpunkt der Auszahlung der Kapitalerträge sowie darauf, dass eine Rückwirkung des § 60a AO-Bescheids nicht möglich sei. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Das Finanzgericht Münster wies die Klage ab.
Insbesondere kommt eine Erstattung nach § 37 Abs. 2 AO (Steuerzahlung ohne Rechtsgrund) nicht in Betracht, weil die Kapitalertragsteueranmeldung zum einen wegen fehlender Bescheinigung nach § 60a AO zu Recht einbehalten wurde und zum anderen die Kapitalertragsteueranmeldungen, die nach § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen, einen Behaltensgrund darstellen. Auch § 44b Abs. 5 EStG kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, weil die dort vorgesehene Möglichkeit, einen Erstattungsantrag zu stellen, nur der abzugsverpflichteten Stelle zusteht und nicht der Körperschaft, für deren Rechnung die Kapitalertragsteuer einbehalten wurde.
Das Gericht lehnte auch eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 227 AO ab. Eine sachliche Unbilligkeit könne nur angenommen werden, wenn die Steuererhebung im konkreten Einzelfall mit den Wertungen des Gesetzgebers unvereinbar sei. Dies sei vorliegend nicht gegeben. Vielmehr entspreche es gerade der gesetzgeberischen Intention, dass Steuerbegünstigungen gemeinnütziger Körperschaften nur unter Einhaltung der formellen Voraussetzungen – insbesondere dem Vorliegen einer gültigen Bescheinigung – gewährt werden dürfen. Es könne dahinstehen, ob - worüber die Beteiligten streiten – die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Klägerin als gemeinnützig bereits aufgrund der dem Testament der Stiftung beigefügten Satzung oder des im Januar 2018 beim Finanzamt eingereichten Satzungsentwurf vorlagen. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, lägen keine Billigkeitsgründe vor.
Einer Unbilligkeit stünde entgegen, dass die Stifterin eine Steuerbelastung im Wege der Gestaltung bereits dadurch hätte verhindern können, dass sie zu Lebzeiten eine Stiftung errichtet hätte, aber erst von Todes wegen mit dem Vermächtnis hätte bedenken können. Jedenfalls sei es aber auch zumutbar gewesen, unmittelbar nach dem Tod der Stifterin die unselbstständige Stiftung zu gründen und entsprechend die Kommanditanteile zuzuordnen.
Auch eine analoge Anwendung des BMF-Schreibens zur Abgeltungsteuer bei Erbfällen sei nicht möglich, da in diesem Fall die Kapitalerträge nicht unmittelbar einem begünstigten gemeinnützigen Rechtsträger zugeflossen seien. Vielmehr handelte es sich um Erträge aus dem Nachlass, die zunächst dem Nachlassvermögen zuzurechnen seien, und deren steuerrechtliche Zuordnung zur Klägerin erst durch die spätere Übertragung auf sie erfolgt sei.
Die Entscheidung des FG Münster verdeutlicht die Bedeutung der rechtzeitigen und formgerechten Anerkennung der Gemeinnützigkeit für die Inanspruchnahme steuerlicher Vergünstigungen. Kapitalerträge, die einer Stiftung vor Erlass eines Feststellungsbescheids nach § 60a AO zufließen, unterliegen auch dann der Kapitalertragsteuer, wenn die Stiftung im Nachhinein als gemeinnützig anerkannt wird. Eine nachträgliche Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer kommt weder nach § 37 Abs. 2 AO noch aus Billigkeitsgründen in Anwendung des § 227 AO in Betracht, wenn die formellen Voraussetzungen im Zeitpunkt des Steuerabzugs nicht erfüllt waren. Gemeinnützige Einrichtungen sollten daher – soweit möglich – frühzeitig für eine formale Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit Sorge tragen und sicherstellen, dass entsprechende Freistellungsbescheinigungen dem Kapitalertragsschuldner rechtzeitig vorgelegt werden, um steuerliche Nachteile zu vermeiden.
Falls Sie ähnliche Fragestellungen oder weitere Informationen zum steuerlichen Umgang mit Kapitalerträgen oder zur (rechtzeitigen) Errichtung einer gemeinnützigen Stiftung benötigen, wenden Sie sich gerne an die Expertinnen und Experten von SCHOMERUS.
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