Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 08.04.2025 (Az. IX R 27/22) klargestellt, dass sich Steuerpflichtige nicht auf Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) berufen können, um Einsicht in vollständige Verwaltungsakten der Finanzverwaltung zu erhalten. Nach Auffassung des Gerichts gewährt die DSGVO lediglich ein Auskunftsrecht über die Verarbeitung personenbezogener Daten, nicht jedoch ein allgemeines Akteneinsichtsrecht. Wird Einsicht in Steuerakten begehrt, muss der dafür vorgesehene Weg über die Abgabenordnung (AO) eingehalten werden. Das Gericht stellt klar, dass die Ablehnung eines Antrags auf Akteneinsicht nach § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) mit dem Einspruch angefochten werden kann und dass das Einspruchsverfahren durch § 32i Abs. 9 Satz 1 AO nicht ausgeschlossen ist.
Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO gewährt betroffenen Personen ein umfassendes Auskunftsrecht gegenüber dem Verantwortlichen über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten. Dieses Recht umfasst unter anderem die Auskunft über Verarbeitungszwecke, Datenkategorien sowie Empfänger der Daten.
Demgegenüber ist das Akteneinsichtsrecht im steuerrechtlichen Verwaltungsverfahren nach § 364 AO bzw. im Rahmen der Verwaltungsverfahrensregelungen der AO ausgestaltet. Wird ein entsprechender Antrag abgelehnt, kann nach § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 AO Einspruch eingelegt werden. Eine Ausnahme hiervon regelt § 32i Abs. 9 Satz 1 AO, wonach ein Einspruchsverfahren ausgeschlossen ist, wenn der Streit ausschließlich datenschutzrechtliche Ansprüche betrifft.
Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung, die auf einer anonymen Anzeige beruhte, verlangte das Finanzamt die Vorlage bestimmter Unterlagen. Im Rahmen des Prüfungsverfahrens beantragte die Klägerin daraufhin Einsicht in die vollständige Prüfungsakte und berief sie sich ausschließlich auf Art. 15 DSGVO sowie ergänzend auf § 2a AO. Mit Bescheid vom 11. März 2021 lehnte das Finanzamt den Antrag auf Akteneinsicht ab.
Gegen diesen Ablehnungsbescheid erhob die Klägerin Klage beim Finanzgericht mit dem Ziel, das Finanzamt zur Gewährung von Einsicht in sämtliche die Außenprüfung betreffenden Akten zu verpflichten. Sie begehrte insbesondere Einsicht in Dokumente und Vermerke, die sich auf die anonyme Anzeige bezogen. Das Finanzgericht wies die Klage ab und stellte fest, dass Art. 15 DSGVO keinen Anspruch auf Einsicht in vollständige Verwaltungsakten vermittle.
Im anschließenden Revisionsverfahren rügte die Klägerin sowohl eine fehlerhafte Rechtsanwendung des erstinstanzlichen Urteils als auch Verfahrensmängel. Sie beantragte die Aufhebung des Urteils des Finanzgerichts Düsseldorf und die Verpflichtung des Finanzamts zur Gewährung der beantragten Akteneinsicht. Das Finanzamt beantragte die Zurückweisung der Revision.
Der BFH wies die Revision der Klägerin als unbegründet zurück. Nach Auffassung des Gerichts ist ein Anspruch auf Akteneinsicht aus Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO weder in der Sache gegeben noch prozessual durch unmittelbare Klage durchsetzbar, ohne dass zuvor ein Vorverfahren im Sinne des § 44 Abs. 1 FGO durchgeführt worden wäre.
Zunächst stellt der BFH klar, dass das klägerische Begehren zutreffend als Antrag auf Akteneinsicht zu qualifizieren sei. Art. 15 DSGVO vermittle einen Auskunftsanspruch über personenbezogene Daten, nicht aber ein umfassendes Einsichtsrecht in Aktenbestände. Während das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht auf die dauerhafte Überlassung von Informationen über verarbeitete personenbezogene Daten beschränkt sei, betreffe das Akteneinsichtsrecht die temporäre Einsichtnahme in die vollständige Verwaltungsakte und sei damit ein eigenständiger Anspruch (Aliud).
Der BFH stellte zudem fest, dass Art. 15 DSGVO nicht die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit eröffnet, umfassend in steuerrechtliche Verwaltungsakten Einsicht zu nehmen. Die Vorschrift sei ausschließlich auf Auskunft über personenbezogene Daten gerichtet und enthalte keinen Anspruch auf Einsichtnahme in Dokumente oder Verwaltungsvorgänge, die keine personenbezogenen Daten betreffen oder deren Einsichtnahme nach anderen Rechtsvorschriften (z. B. AO) zu beurteilen sei.
Darüber hinaus sei der Verwaltungsrechtsweg nicht unmittelbar eröffnet gewesen, da ein erforderliches Vorverfahren nicht durchgeführt worden sei. Das Einspruchsverfahren gegen die Ablehnung eines Akteneinsichtsantrags sei nach § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 AO statthaft. § 32i Abs. 9 Satz 1 AO, der in bestimmten datenschutzrechtlichen Verfahren das Einspruchsverfahren ausschließt, finde keine Anwendung, wenn – wie hier – der Antrag nicht ausschließlich auf datenschutzrechtliche Grundlagen gestützt werde.
Eine teleologische Erweiterung des § 32i Abs. 9 AO sei nach Auffassung des BFH ebenfalls nicht zulässig. Es liege keine planwidrige Regelungslücke vor, die eine analoge Anwendung rechtfertigen würde. Vielmehr sei die Regelung bewusst auf datenschutzrechtliche Ansprüche beschränkt worden. Eine Aufspaltung der Rechtsschutzwege sei vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden.
Der BFH bestätigte damit die Auffassung der Vorinstanz, wonach für einen Anspruch auf Akteneinsicht allein die abgabenrechtlichen Vorschriften maßgeblich sind und Art. 15 DSGVO keine darüberhinausgehende Grundlage schafft.
Das Urteil des Bundesfinanzhofs klärt grundlegend, dass Art. 15 DSGVO keinen Anspruch auf Akteneinsicht in steuerrechtlichen Verwaltungsverfahren begründet. Es grenzt den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch klar vom abgabenrechtlichen Akteneinsichtsrecht ab und stellt damit sicher, dass in steuerlichen Angelegenheiten ausschließlich die Regelungen der Abgabenordnung über den Zugang zu vollständigen Verwaltungsvorgängen entscheiden. Die Entscheidung stärkt zudem die Systematik des Finanzgerichtsverfahrens, indem sie betont, dass ein Vorverfahren durch Einspruch auch dann erforderlich ist, wenn sich der Antragsteller ursprünglich auf datenschutzrechtliche Vorschriften beruft.
Für die Praxis bedeutet das Urteil, dass sich Steuerpflichtige - einschließlich gemeinnützige Einrichtungen – im Zusammenhang mit einer Akteneinsicht konsequent an die Vorgaben der Abgabenordnung halten müssen. Insbesondere ist bei der Ablehnung eines Akteneinsichtsantrags ein Einspruch erforderlich, bevor Klage erhoben werden kann.
Grade Organisationen mit gemeinnützigem Status sollten beachten, dass auch bei Außenprüfungen hinsichtlich der Mittelverwendung oder bei anonymen Hinweisen keine besonderen datenschutzrechtlichen Auskunftsrechte bestehen.
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