BFH: Vorlage an den EuGH zur beihilfenrechtlichen Zulässigkeit von Steuervergünstigungen für Servicekörperschaften

22.07.2025
Gemeinnützigkeit
5 Minuten

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 22.05.2025 (Az. V R 22/23) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mehrere Fragen zur Auslegung der Art. 107 und 108 AEUV im Kontext der Regelung von sogenannten Servicegesellschaften im Sinne von § 57 Abs. 3 AO vorgelegt. Gegenstand der Vorlage ist vorrangig die Frage, ob der § 57 Abs. 3 AO mit den europäischen Beihilferecht vereinbar ist und daher einer Notifizierung der Europäischen Kommission bedarf. Wir berichteten bereits über die mündliche Verhandlung: Aktuelle Erkenntnis zum doppelten Satzungserfordernis nach § 57 Abs. 3 AO 

Hintergrund

In der Vorinstanz hatte das FG Hamburg bereits zum sogenannten “doppelten Satzungserfordernis” entschieden und einen beihilferechtlichen Verstoß abgelehnt. Die ganze Entscheidung: Kein "doppeltes Satzungserfordernis" bei § 57 Abs. 3 AO 

Nach § 57 Abs. 3 Satz 1 AO, welcher in seiner aktuellen Fassung durch das Jahressteuergesetz 2020 eingeführt wurde, verfolgt eine Körperschaft ihre steuerbegünstigten Zwecke auch dann unmittelbar im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 AO, wenn sie satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit mindestens einer weiteren Körperschaft, die im Übrigen die Voraussetzungen der §§ 51 bis 68 AO erfüllt, einen steuerbegünstigten Zweck verwirklicht. Ein planmäßiges Zusammenwirken liegt z.B. vor, wenn ein Krankenhaus eine zum Zweckbetrieb i.S.d. § 67 AO gehörende Wäscherei auf eine GmbH ausgliedert und die Wäscherei weiterhin Leistungen an das Krankenhaus erbringt. 

Die unionsrechtliche Dimension ergibt sich aus Art. 107 Abs. 1 AEUV, wonach staatliche Beihilfen, die bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen gewährt werden und den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind. Nach Art. 108 Abs. 3 AEUV dürfen neue Beihilfen nur nach vorheriger Notifizierung und Zustimmung durch die Europäische Kommission durchgeführt werden.  

Sachverhalt 

Die Klägerin ist eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), die im Jahr 2022 mit dem satzungsgemäßen Zweck gegründet wurde, ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke – insbesondere im Bereich des Gesundheitswesens, der Wissenschaft, der Bildung sowie der Kunst und Kultur – durch planmäßiges Zusammenwirken mit einer gemeinnützigen Stiftung zu verfolgen. Im Rahmen dieser Kooperation erbringt die Klägerin entgeltlich Dienstleistungen im Bereich der Finanzbuchhaltung und des Rechnungswesens für die Stiftung, die zuvor von einem privaten Dienstleister erbracht worden waren. 

Während die Satzung der Klägerin explizit auf die Kooperation mit der Stiftung verweist, enthält die Satzung der Stiftung keine korrespondierende Regelung. Das zuständige Finanzamt erteilte zunächst einen positiven Feststellungsbescheid nach § 60a Abs. 1 AO zur formellen Satzungsmäßigkeit der Klägerin, hob diesen jedoch später auf. Begründet wurde die Aufhebung mit einer verwaltungsinternen Anweisung, wonach das sogenannte doppelte Satzungserfordernis gilt: Beide Körperschaften müssen die Kooperation satzungsgemäß benennen. Da die Satzung der Stiftung diese Voraussetzung nicht erfülle, könne die Klägerin die Steuervergünstigung nicht in Anspruch nehmen. Im Einspruchsverfahren wurde die Aufhebung des Bescheids lediglich zeitlich verschoben, blieb aber im Ergebnis bestehen. 

Das Finanzgericht Hamburg gab der Klage gegen den Aufhebungsbescheid statt. Es urteilte, dass § 57 Abs. 3 AO weder dem Wortlaut noch dem Sinn nach ein doppeltes Satzungserfordernis verlangt. Auch beihilfenrechtlich liege keine neue, anzeigepflichtige Beihilfe vor, da die Regelung lediglich eine Konkretisierung bestehender Kooperationsformen darstelle. Die Vorschrift erleichtere die praktische Umsetzung der Gemeinnützigkeit durch Auslagerung von Serviceleistungen, ohne den Anwendungsbereich der Steuervergünstigung auszuweiten. 

Im Revisionsverfahren wandte sich das Finanzamt gegen diese Auslegung. Das Bundesministerium der Finanzen teilte im Verfahren mit, dass weder eine Notifizierung der Regelung des § 57 Abs. 3 AO bei der Europäischen Kommission erfolgt sei, noch eine informelle Abstimmung mit dieser stattgefunden habe. Es vertrete jedoch die Auffassung, dass durch § 57 Abs. 3 AO keine neue Beihilfe eingeführt worden sei, sondern lediglich bestehende Strukturen präzisiert würden. 

Entscheidung des Gerichts: 

Der BFH setzte das Revisionsverfahren aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. Ziel der Vorlage ist die Klärung, ob 

  1. die mit § 57 Abs. 3 AO eingeführte steuerliche Begünstigung sogenannter Servicekörperschaften beihilferechtlich als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV zu qualifizieren ist, 

  2. es der Annahme eines “selektiven Vorteils” im Sinne dieser Norm entgegensteht, dass die Servicekörperschaft gemeinnützigkeitsrechtlichen Beschränkungen insbesondere im Hinblick auf Mittelverwendung und Vermögensbindung unterliegt 

  3. und ob deren Einführung ohne vorherige Notifizierung gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV unionsrechtskonform war. 

Zentraler rechtlicher Bezugspunkt sei, ob die Kooperation gemeinnütziger Körperschaften geeignet ist, den Wettbewerb zu beeinträchtigen oder, ob hierdurch lediglich ein effizienteres Arbeiten zur Zweckverfolgung ermöglicht wird. Es sei nach Auffassung des BGH ausreichend, wenn auf dem betreffenden Markt einer Beihilfemaßnahme im Zeitpunkt des Inkrafttretens ein Wettbewerb herrscht, der sich durch die Einführung einer Maßnahme drohe zu verfälschen. Hierbei sei zu erkennen, dass die Servicekörperschaften marktgängige Leistung (hier Finanzbuchhaltung) an steuerbegünstigte Körperschaften vergünstigter anbieten können, als solche Wettbewerber, die nicht als Servicegesellschaft im Sinne des § 57 Abs. 3 AO agieren.  

Sollte der Beihilfebegriff zu bejahen sein, sei aus Sicht des BFH auch ein selektiver Vorteil gegeben. Zwar seien gemeinnützige Körperschaften an die Regelungen der Vermögensbindung und Mittelverwendung gebunden, dies entbehre jedoch nicht dem Umstand, dass der Katalog der gemeinnützigen Zwecke (§ 52 AO) eine Vielzahl gesellschaftlicher Bereiche betreffe, in denen ein Wettbewerb zu anderen – nicht steuerbegünstigten - Marktteilnehmern bestehe. 

Weiterhin fragt der BFH, ob die mit § 57 Abs. 3 AO eingeführte Regelung eine „neue Beihilfe“ im Sinne des Art. 108 Abs. 3 AEUV darstellt oder ob vorunionsrechtlicher Bestandsschutz gilt. Entscheidend sei dabei, ob die steuerliche Begünstigung gegenüber dem bis zum 1. Januar 1958 geltenden nationalen Recht in einer Weise verändert wurde, die eine Notifizierungspflicht der Kommission auslöst. Zwar enthielt das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht bereits damals steuerliche Vergünstigungen für wirtschaftliche Tätigkeiten im Zweckbetrieb, jedoch hat der EuGH zu prüfen, ob die Ausweitung des Anwendungsbereichs durch die Möglichkeit der steuerbegünstigten Zusammenarbeit zwischen Körperschaften eine relevante inhaltliche Änderung der Zweckbetriebsregelung darstellt.  

Ausblick 

Unmittelbar ändert sich durch den Vorlagebeschluss des BFH für gemeinnützige Organisationen nichts. Allerdings birgt die nun ausgeweitete Rechtsunsicherheit in Bezug auf § 57 Abs. 3 AO erhebliche Risiken für gemeinnützige Konzerne. Die Entscheidung des EuGH über die Vorlagefragen des BFH wird weitreichende Bedeutung für die steuerliche Behandlung von Kooperationen zwischen gemeinnützigen Körperschaften entfalten. Sollte der EuGH die durch § 57 Abs. 3 AO ermöglichte steuerliche Begünstigung als staatliche Beihilfe qualifizieren und deren Einführung ohne Notifizierung als unionsrechtswidrig bewerten, wären zahlreiche Feststellungsbescheide nach § 60a AO und daraus resultierende Steuervergünstigungen potenziell unionsrechtswidrig. Dies würde erhebliche Unsicherheiten für Servicekörperschaften schaffen, deren Geschäftsmodell auf der steuerbegünstigten Erbringung von Unterstützungsleistungen an andere gemeinnützige Organisationen basiert. 

Gleichzeitig steht in Rede, ob das bislang praktizierte sogenannte „doppelte Satzungserfordernis“ unionsrechtlich zwingend geboten ist oder eine nationale Verwaltungspraxis ohne hinreichende gesetzliche Grundlage darstellt. Auch hierzu dürfte die Auslegung durch den EuGH für die Anwendung des § 57 Abs. 3 AO richtungsweisend sein. 

Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens wird die Entscheidung des EuGH den Regelungsrahmen für steuerbegünstigte Zweckbetriebe im Spannungsfeld von Gemeinnützigkeits- und Beihilfenrecht klarstellen und möglicherweise zu Anpassungen der Verwaltungspraxis oder des Gesetzes führen. Eine Klarstellung könnte für Rechtssicherheit bei der Anwendung kooperativer Modelle in gemeinnützigen Strukturen sorgen, die zunehmend an Bedeutung gewinnen – etwa im Gesundheitswesen, der Wissenschaft oder im Kulturbereich. 

Bildnachweis: Bundesfinanzhof/Andreas Focke

Immer bestens informiert mit den Newslettern von SCHOMERUS

Steuerberatung und Rechtsberatung
Schomerus & Partner mbB
Steuerberater Rechtsanwälte
Wirtschaftsprüfer
Wirtschaftsprüfung
Hamburger Treuhand Gesellschaft
Schomerus & Partner mbB
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Hamburg
Deichstraße 1
20459 Hamburg
Berlin
Bülowstraße 66
10783 Berlin
München
Atelierstraße 1
81671 München
Stralsund
An den Bleichen 15
18435 Stralsund
Pixel