Honorarpflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen sind regelmäßig sozialversicherungspflichtig

21.04.2020
Sonstiges
6 Minuten

Immer wieder herrscht zwischen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) und Pflegeeinrichtungen Streit bezüglich der Frage, ob Pflegekräfte, die als Honorarpflegekräfte tätig sind, als Beschäftigte der Pflegeeinrichtung anzusehen und damit sozialversicherungspflichtig sind. Das Bundessozialgericht hat dies in einer Leitentscheidung (BSG, Urteil v. 7. Juni 2019 – B 12 R 6/18 R) bejaht: Derartige Pflegekräfte sind demnach in aller Regel abhängig beschäftigt und unterliegen der Sozialversicherungspflicht.

Geklagt hatte eine zur Versorgung Pflegebedürftiger zugelassene Pflegeeinrichtung. Diese hatte mit einer Vermittlungsagentur einen Vermittlungsvertrag geschlossen. Die Agentur vermittelte anschließend einen freiberuflich tätigen, staatlich anerkannten Altenpfleger und Fachkraft für Leitungsaufgaben in der Pflege in ein „befristetes Arbeitsverhältnis“ und vereinbarte, dass der Altenpfleger „als selbstständige Pflegekraft […] für alle Sozialversicherungsabgaben verantwortlich“ sei. Daraufhin schlossen die Pflegekraft und die Pflegeeinrichtung einen „Dienstleistungsvertrag“ für die Zeit vom 6. bis 14. November 2012 sowie vom 21. bis 28. November. Es wurde eine Arbeitszeit von mindestens 10 Stunden am Tag bei möglicher Mehrarbeit und ein fester Stundenlohn in Höhe von € 29 vereinbart, am Wochenende € 32,20 sowie an Feiertagen € 35. Ab 20 Uhr wurde dem Pfleger zudem eine Nachtzulage von € 3,20 gezahlt. Bei dem Pflegeheim angestellte examinierte Fachkräfte verdienten zwischen € 12,69 und € 14,06 sowie einen Zuschlag von € 2 für Nachtdienste, € 3 für Sonntagsarbeit und € 4 für Feiertage.

Die DRV stellte im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens fest, dass der Pfleger in dem Pflegeheim abhängig beschäftigt und somit sozialversicherungspflichtig gewesen sei. Gegen diese Feststellung klagte die Pflegeeinrichtung. Nachdem das Sozialgericht der Klage zunächst stattgab, hob das Landessozialgericht das Urteil auf und entschied, dass der Pfleger abhängig beschäftigt war. Daraufhin ging die Pflegeeinrichtung vor dem Bundessozialgericht (BSG) in Revision. Das BSG wies die Revision ab. Der Pfleger sei in den Einsatzzeiträumen in der Pflegeeinrichtung abhängig beschäftigt gewesen und sei somit sozialversicherungspflichtig. Das BSG sah insgesamt unter keinem Gesichtspunkt eine selbstständige Tätigkeit.

Keine vom Grundsatz abweichenden Maßstäbe zur Beurteilung von Pflegefachkräften

Das BSG sieht kein Bedürfnis, für Pflegefachkräfte eine Ausnahme von den allgemeinen Grundsätzen zur Beurteilung des Vorliegens abhängiger Beschäftigung zu machen. Es stellte klar, dass auch für die Beurteilung von Honorarpflegekräften in einer stationären Pflegeeinrichtung dieselben Maßstäbe wie für alle anderen Tätigkeiten gelten. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG liegt eine abhängige Beschäftigung vor, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Sofern der Arbeitnehmer – wie hier – in einem fremden Betrieb tätig ist, ist maßgeblich, ob er in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Tätigkeit unterliegt. Dabei genüge laut BSG insbesondere bei Diensten „höherer Art“ ein eingeschränktes Weisungsrecht des Arbeitgebers. Eine selbstständige Tätigkeit liegt dagegen vor, wenn die Tätigkeit durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit geprägt ist. Gleichzeitig wies das BSG darauf hin, dass bei der Gewichtung dieser Indizien im Falle von Pflegefachkräften in stationären Pflegeeinrichtungen Besonderheiten zu berücksichtigen seien. So arbeiteten Pflegefachkräfte, die eine staatlich anerkannte Abschlussprüfung an einer Pflegefachschule absolviert haben, weitgehend eigenverantwortlich. Beispielsweise haben sie auch die Möglichkeit, flexibel auf Wünsche und Bedürfnisse der zu pflegenden Personen einzugehen. Dies könne aber nicht dazu führen, dass deshalb ohne Weiteres auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werde. Zwar befähige die Berufsausbildung zum Altenpfleger zur selbstständigen und eigenverantwortlichen Pflege der Heimbewohner und unterscheide sich hierdurch von Pflegehilfskräften – doch dies präge das Berufsbild und nicht den sozialversicherungsrechtlichen Status. Das BSG gab aber auch zu bedenken, dass ebenso wenig schon deshalb eine abhängige Beschäftigung angenommen werden kann, weil Pflegepersonal die Einrichtungen und Betriebsmittel des Pflegeheimes nutzt.

Der Pfleger, um dessen Sozialversicherungspflicht es hier ging, trug seine eigene Arbeitskleidung sowie ein Namensschild, das ihn als selbstständige Pflegekraft auswies und stellte sich den Bewohnern der Pflegeeinrichtung auch so vor. Er hatte zudem einen Kredit in Höhe von € 5.000 aufgenommen und davon unter anderem Arbeitskleidung sowie einen Computer gekauft. Der Pfleger hatte eine freiwillige gesetzliche Krankenversicherung, eine Haftpflichtversicherung und eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen und sich freiwillig bei der zuständigen Berufsgenossenschaft als Unternehmer versichert. Er machte steuerlich Reise-, Telefon- und Kfz-Kosten geltend. Das BSG sah in diesen Umständen jedoch kein nennenswertes Unternehmerrisiko. Insbesondere war problematisch, dass der Pfleger einen festen Lohn für geleistete Stunden erhalten hatte. Nach Auffassung des BSG trug er dadurch kein Risiko, für seine Arbeit nicht entlohnt zu werden oder „durch unternehmerisches Geschick“ so effizient zu arbeiten, dass er mit weniger Aufwand einen höheren Ertrag erzielen konnte. Da es stets nur auf die Betrachtung der konkreten Tätigkeit – also des jeweiligen Einzelauftrags – ankäme, sei es für den sozialversicherungsrechtlichen Status auch ohne Belang, dass eine Honorarpflegekraft das Risiko trägt, keine Folgeaufträge von der Einrichtung zu erhalten. Die Kosten für Arbeitskleidung, der Anschaffung eines Computers, Reisen, Telefon und Kfz hätten nur einen geringen Umfang und stellten laut BSG kein Unternehmerrisiko dar. Hierbei äußerte das BSG Zweifel, ob die gemachten Anschaffungen überhaupt mit der Tätigkeit im Zusammenhang standen. Auch mit dem Abschluss der diversen Versicherungen habe die Pflegefachkraft lediglich Rahmenbedingungen für eine selbstständige Tätigkeit geschaffen. Die Tätigkeit selbst sei hiervon aber unberührt. Schließlich wies das BSG darauf hin, dass das Tragen eigener – von der des festangestellten Personals unterscheidbarer – Arbeitskleidung und des Namensschilds sowie der Umstand, dass der Pfleger sich als Selbstständiger bei den Pflegepersonen vorstellte, für die Bewertung ohne Belang sei. Wie der Pfleger von Dritten wahrgenommen wurde, sei nicht maßgeblich.

Honorarhöhe ist nicht maßgeblich

Auch das gegenüber festangestellten Pflegekräften deutlich höhere Honorar war für das BSG nicht ausschlaggebend. Es habe zwar Indizwirkung – schließlich erhalten Freiberufler üblicherweise ein höheres Honorar, weil sie etwa allein für ihre Altersvorsorge verantwortlich sind. Sofern der durch das höhere Honorar zum Ausdruck kommende Parteiwille aber im Widerspruch zu den tatsächlichen Verhältnissen stehe, kommt dem Parteiwillen aber keine Bedeutung mehr zu.

Regulatorische Vorgaben führen im Regelfall zur betrieblichen Eingliederung von Pflegefachkräften

Besonders sticht jedoch ein ganz anderes Argument des BSG hervor: Stationäre Pflegeeinrichtungen haben einen Versorgungsauftrag und unterliegen deshalb regulatorischen Vorgaben durch das SGB XI und das Heimrecht. Diese erfordern einen hohen Organisationsgrad der Pflegeeinrichtung zur Qualitätssicherung. Die Heimaufsicht muss also selbst engmaschig kontrollieren, ob die Vorgaben eingehalten werden. Dies habe regelmäßig zur Folge, dass Pflegefachkräfte in die Organisations- und Weisungsstruktur der stationären Pflegeeinrichtung eingegliedert somit normalerweise abhängig beschäftigt seien. Eine selbstständige Tätigkeit sei aus diesem Grund nur ausnahmsweisemöglich und bedürfe gewichtiger Indizien. Diese lagen hier aus Sicht des BSG nicht vor. Insbesondere genüge es nicht, dass der Pfleger hier bestimmte Freiräume bei der Tätigkeit hatte, wie etwa die Möglichkeit, selbst auszuwählen, welche Bewohner er pflegen wolle oder in welche Reihenfolge er einzelne Aufgaben ausführte.

Die Eingliederung des Pflegers in den Betrieb ergebe sich zudem daraus, dass es einen Dienstplan mit Schichtzeiten in dem Pflegeheim gab, in dem auch Honorarpflegekräfte eingeordnet waren. Das BSG führte aus, dass der Pfleger hier außerdem die Betriebsmittel des Heimes genutzt und arbeitsteilig mit dem übrigen Personal in den vorgegebenen Strukturen zusammengearbeitet habe. Der gesamte organisatorische Rahmen der Pflegetätigkeit habe in der Hand des Pflegeheims gelegen. Innerhalb einer Schicht war eine verantwortliche Pflegekraft eingesetzt, die Visiten, Qualitätschecks und Rundgänge vornahm und die Dokumentation überprüfte, um die Pflegequalität sicherzustellen. Somit sei der zu beurteilende Pfleger ebenso in die strukturierten Betriebsabläufe eingegliedert wie das festangestellte übrige Personal des Heimes.

Fachkräftemangel ändert nichts an der Bewertung

Schließlich hatte die Urteilsbegründung des BSG sogar eine gesundheitspolitische Komponente: So stellte der Senat klar, dass Einrichtungen der Daseinsvorsorge wie Pflegeheime ihre Personalfindungsprobleme wegen als unattraktiv empfundener Arbeitsbedingungen nicht durch den Abschluss von Honorarverträgen lösen können. Der flexible Einsatz von Honorarkräften im Gesundheitswesen sei für die Aufrechterhaltung der Versorgung nicht unerlässlich. Der Fachkräftemangel könne an zwingenden Regelungen des Sozialversicherungsrechts nichts ändern.

Praxistipp

Das Urteil des BSG zeigt eine klare Linie zugunsten der Sozialversicherungspflicht von Honorarpflegepersonal und wird leitende Wirkung haben. Erst drei Tage vor diesem Urteil hatte das BSG in einer anderen Entscheidung (BSG, Urteil v. 04. Juni 2019, Az. B 12 R 11/18) bereits entschieden, dass auch Honorarärzte im Krankenhaus regelmäßig sozialversicherungspflichtig sind. Es ist zu erwarten, dass die DRV diese Rechtsprechungslinie zum Anlass nehmen wird, auch andere Tätigkeiten unter Heranziehung der Argumente des BSG als sozialversicherungspflichtig zu bewerten. Das BSG macht deutlich, dass die Eingliederung in den Betrieb bei der Beurteilung stärker zu gewichten ist als Freiheiten hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung der Tätigkeit oder der Honorarhöhe. Es ist daher große Vorsicht beim Einsatz von Honorarkräften geboten, anderenfalls drohen schnell Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen in teilweise enormer Höhe sowie Bußgelder. Wir empfehlen daher, bereits bestehende Honorarverträge schnellstmöglich kritisch überprüfen zu lassen.

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