FG Münster zur Umsatzsteuerpflicht von Behindertenbeförderung durch eine Werkstatt für behinderte Menschen

19.05.2025
Gemeinnützigkeit
4 Minuten

Das Finanzgericht Münster (FG) hat mit Urteil vom 13.03.2025 (Az. 5 K 894/22 U) entschieden, dass von einer gemeinnützigen Werkstatt für behinderte Menschen eigenverantwortlich durchgeführte Beförderungsleistungen im Rahmen eines gesonderten sozialrechtlichen Vertrages gemäß § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f Umsatzsteuergesetz (UStG) von der Umsatzsteuer befreit sind.

Hintergrund

Nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG sind unter anderem die Leistungen steuerfrei, die im Rahmen der Betreuung und Pflege hilfebedürftiger Personen durch Werkstätten für behinderte Menschen erfolgen. Dabei erweitert Satz 2 der Norm die Steuerbefreiung auf alle Leistungen, auf die sich die sozialrechtliche Vereinbarung oder die Vergütung bezieht.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine gemeinnützige GmbH, deren Gesellschafter ein eingetragener Verein und eine Kapitalgesellschaft sind. Sie betreibt mehrere Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sowie ergänzende Wohn- und Betreuungsangebote. Die Klägerin ist sozialrechtlich als WfbM anerkannt und verfolgt nach ihrer Satzung mildtätige und gemeinnützige Zwecke, insbesondere die Förderung des Wohlfahrtswesens und der Behindertenhilfe.

Im Zeitraum der Streitjahre 2012 bis 2014 organisierte die Klägerin die Beförderung ihrer Werkstattbeschäftigten auf unterschiedlichen Wegen. Ein Teil der Beschäftigten reiste selbständig an oder erhielt hierfür eine Kostenzusage durch den zuständigen Rehabilitationsträger, den Landschaftsverband. Andere Beschäftigte wurden im Rahmen einer von der Klägerin geplanten und ausgeschriebenen Sammelbeförderung durch externe Dienstleister befördert. Daneben unterhielt die Klägerin mit eigenen Fahrzeugen und eigenem Personal in einzelnen Gebieten eine eigenverantwortlich betriebene Beförderungslinie, da eine Sammelbeförderung dort aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich war.

Für bestimmte Fahrten wiederum bestand ein gesonderter Vertrag mit dem öffentlich-rechtlichen Leistungsträger, in dem eine pauschale Tagesvergütung pro Fahrgast vereinbart war. Die Beförderung wurde organisatorisch vollständig durch die Klägerin durchgeführt, ohne unmittelbaren Bezug zu den übrigen pflegesatzfinanzierten Leistungen. Die Sozialhilfeträger erstatteten der Klägerin die Kosten auf Basis individueller Kostenzusagen für die jeweiligen Fahrgäste. Die Klägerin deklarierte diese Leistungen zunächst als steuerpflichtig.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung wurde zunächst angenommen, dass die Beförderungsleistungen gemäß § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG steuerfrei seien. Die Klägerin widersprach dieser Bewertung mit der Begründung, dass die Fahrdienstleistungen nicht Bestandteil der gesetzlich geschuldeten Leistungen einer WfbM seien, sondern auf gesonderter vertraglicher Grundlage erbracht und eigenständig vergütet würden. Die Leistungen würden auch nicht ausschließlich körperlich schwerbehinderten Personen erbracht, sodass sie nicht unter die Sonderregelung des § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG fielen.

Nach Auswertung der Prüfungsfeststellungen änderte das Finanzamt die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre und behandelte die Einnahmen aus Beförderungsleistungen als steuerfreie Umsätze. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch und schließlich Klage ein, mit dem Ziel, die Steuerpflicht der betreffenden Umsätze und damit den uneingeschränkten Vorsteuerabzug durchzusetzen.

Entscheidung des Gerichts

Das Finanzgericht Münster wies die Klage ab und bestätigte die Auffassung der Finanzverwaltung. Das Gericht stellte dabei auf die sozialrechtliche Verpflichtung der Werkstatt zur Organisation eines Fahrdienstes gemäß § 8 Abs. 4 Werkstättenverordnung (WVO) ab, die als Voraussetzung für die sozialrechtliche Anerkennung einer Werkstatt im Sinne des § 17 Abs. 1 WVO anzusehen sei.

Die von der Klägerin erbrachte Beförderung stelle keine freiwillige Zusatzleistung dar, sondern sei integraler Bestandteil der Erfüllung des Werkstattzwecks, soweit die Beförderung „erforderlich“ sei. Maßgeblich sei nicht, ob die Leistung wirtschaftlich selbstständig organisiert oder über Dritte durchgeführt werde, sondern ob sie sich funktional in den Gesamtzusammenhang der sozialen Aufgabenstellung einer WfbM einfüge. Der Umstand, dass in einigen Gebieten die Beförderung eigenständig durch die Klägerin organisiert und durchgeführt wurde, führe nicht zu einer steuerpflichtigen sonstigen Leistung, sondern stelle ebenfalls eine sozialrechtlich veranlasste Betreuungsleistung dar.

Das Gericht folgte auch der Argumentation der Klägerin nicht, dass es sich bei der Fahrdienstleistung um eine wirtschaftlich eigenständige, vom Betreuungskontext losgelöste Beförderung handele. Es verwies auf die systematische Einbettung in das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis zwischen Beschäftigtem, Werkstatt und Rehabilitationsträger sowie auf die gesetzlich vorgesehene Verpflichtung zur Organisation eines Fahrdienstes, die bereits die Anerkennung der Werkstatt als solche voraussetze. Die Ausgliederung der Fahrdienstleistung aus dem steuerfreien Werkstattbetrieb sei daher unzulässig.

Zudem erkannte das Gericht keinen Verstoß gegen das unionsrechtliche Neutralitätsgebot. Die Klägerin sei verpflichtet gewesen, für die betroffenen Beschäftigten einen Fahrdienst bereitzustellen. Wettbewerbsverzerrungen gegenüber anderen Unternehmen, die ähnliche Leistungen erbringen könnten, lägen nicht vor, da die Leistungen nicht am allgemeinen Markt, sondern im Rahmen einer sozialrechtlichen Verpflichtung erbracht wurden.

Infolgedessen bejahte das FG Münster die Umsatzsteuerfreiheit der streitgegenständlichen Umsätze und versagte der Klägerin den begehrten vollen Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG.

Ausblick

Die Entscheidung des FG Münster verdeutlicht die enge Verknüpfung zwischen sozialrechtlichen Verpflichtungen und der umsatzsteuerlichen Beurteilung von Leistungen gemeinnütziger Werkstätten. Sie stellt klar, dass eigenorganisierte Beförderungsleistungen durch eine WfbM selbst dann steuerfrei sein können, wenn diese nicht Bestandteil von Pauschalvergütungen sind, sondern auf Grundlage individueller Kostenzusagen erfolgen. Entscheidend ist, ob die Leistung funktional zur Erfüllung der sozialrechtlichen Aufgaben der Werkstatt dient und im Kontext des gesetzlich normierten Leistungsspektrums erbracht wird.

Für gemeinnützige Träger bedeutet das Urteil, dass selbst wirtschaftlich separat ausgestaltete Leistungen – wie z. B. eigenverantwortlich betriebene Fahrdienste – unter Umständen nicht dem Regelsteuersatz unterliegen, wenn sie integraler Bestandteil gesetzlich geschuldeter Betreuungsmaßnahmen sind. Die Abgrenzung zwischen steuerfreier Sozialleistung und steuerpflichtiger eigenständiger Dienstleistung bleibt gleichwohl ein risikobehafteter Bereich, insbesondere wenn externe Wettbewerber vergleichbare Leistungen steuerpflichtig erbringen.

Vor diesem Hintergrund sollten gemeinnützige Einrichtungen ihre Vertragsgestaltungen und Leistungsbeschreibungen sorgfältig auf ihre Einbindung in das sozialrechtliche Leistungsgefüge prüfen und dokumentieren, um Streitigkeiten über die Steuerpflichtigkeit bestimmter Leistungen zu vermeiden.

Falls Sie ähnliche Fragestellungen oder weitere Informationen zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Sozialleistungen benötigen, wenden Sie sich gerne an die Expertinnen und Experten von SCHOMERUS.

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