BFH zur allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens durch Bereitstellung einer Online-Plattform

08.05.2025
Gemeinnützigkeit
5 Minuten

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 12. Dezember 2024 (Az. V R 28/23) entschieden, dass der Betrieb einer Online-Plattform zur Veröffentlichung gesellschaftspolitischer Anliegen nur dann als gemeinnützige allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Sinne von § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO anerkannt werden kann, wenn die dort behandelten Themen einen Bezug zur Ausübung staatlicher Gewalt aufweisen und die Plattform in parteipolitischer Neutralität betrieben wird. In dem Verfahren war SCHOMERUS beratend und als prozessbevollmächtigte Kanzlei des klagenden Vereins tätig.

Hintergrund

Die Steuerbefreiung gemeinnütziger Körperschaften richtet sich gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG i. V. m. den §§ 51 bis 68 AO nach dem Vorliegen sowohl satzungsmäßiger als auch tatsächlicher Voraussetzungen. Nach § 52 Abs. 1 AO verfolgt eine Körperschaft gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit selbstlos auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet zu fördern. § 52 Abs. 2 Satz 1 AO enthält eine nicht abschließende Aufzählung begünstigter Zwecke, darunter in Nr. 24 die „allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich der Abgabenordnung“.

Dieser Zweck darf nicht mit Tätigkeiten verwechselt werden, die lediglich Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder auf kommunalpolitische Belange beschränkt sind. Entscheidend ist ein ideell ausgerichtetes, nicht parteipolitisch gefärbtes Eintreten für demokratische Grundwerte, das sich innerhalb des Rahmens der grundgesetzlich garantierten Willensbildungsfreiheit entfaltet. Eine steuerlich begünstigte Förderung des demokratischen Staatswesens verlangt damit geistige Offenheit, Neutralität und eine Ausrichtung auf den offenen Prozess demokratischer Meinungs- und Willensbildung.

In diesem Fall prüfte der BFH, ob der Betrieb einer Online-Plattform, die Petitionen und Kampagnen zu politischen und gesellschaftlichen Themen ermöglicht, diese Anforderungen erfüllt.

Sachverhalt

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der in den Jahren 2016 und 2017 nach seiner Satzung ausschließlich und unmittelbar den gemeinnützigen Zweck der „allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens“ im Sinne der Abgabenordnung verfolgte. Zur Umsetzung dieses Zwecks betrieb der Verein eine kostenfrei zugängliche Online-Plattform, auf der Nutzer eigene Anliegen formulieren und zur elektronischen Abstimmung stellen konnten. Die Themenstellungen waren nicht auf staatliche Adressaten beschränkt, sondern konnten sich auch an nichtstaatliche Stellen richten. Der Kläger unterstützte Initiatoren erfolgreicher oder relevanter Anliegen durch aktive Kontaktaufnahme und Begleitung bei der weiteren Durchführung ihrer Kampagnen. Ergänzend stellte der Verein Schulungsmaterialien und Leitfäden auf seiner Internetseite bereit.

Das Finanzamt erkannte zunächst die satzungsmäßigen Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit gemäß §§ 51, 59, 60 und 61 AO an. Später versagte es jedoch die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG und setzte die Körperschaftsteuer zwar auf 0 € fest, stellte aber fest, dass der Verein nach seiner tatsächlichen Geschäftsführung nicht ausschließlich steuerbegünstigte Zwecke verfolge. Es argumentierte, dass der Betrieb der Plattform nur dann der allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens diene, wenn sich die dort veröffentlichten Anliegen ausschließlich an staatliche Stellen im Sinne von Art. 17 GG richteten. Die Aufnahme auch nichtstaatlicher Adressaten widerspreche dem Gemeinnützigkeitszweck. Zudem fehle in der Satzung ein Bezug zur Volksbildung, sodass eine gemeinnützige Zweckverfolgung nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AO ausscheide.

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg gab der Klage statt (vgl. unseren Beitrag vom 15.11.2023). Es sah die tatsächliche Geschäftsführung des Vereins im Einklang mit der satzungsmäßigen Zweckverwirklichung und beurteilte dessen Aktivitäten als auf die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens gerichtet. Insbesondere hob das Gericht hervor, dass der Verein die demokratische Teilhabe der Bevölkerung fördere, ohne sich die Inhalte der Anliegen zu eigen zu machen, und somit in geistiger Offenheit handle. Die Einordnung als bloße Social-Media-Plattform lehnte das Gericht ab.

Gegen dieses Urteil legte das Finanzamt Revision ein. Unterstützt wurde es dabei vom Bundesministerium der Finanzen, das dem Verfahren beitrat und ebenfalls die Auffassung vertrat, die Zuwendung der Plattformtätigkeit des Vereins sei nicht ausreichend spezifisch auf demokratische Kernfunktionen bezogen und daher nicht gemeinnützig im Sinne des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO.

Entscheidung des Gerichts

Der Bundesfinanzhof hob das Urteil des Finanzgerichts auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurück. Maßgeblich für die Entscheidung war die Auslegung des Begriffs der „allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens“ gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO unter Berücksichtigung des Demokratieprinzips nach Art. 20 Abs. 2 GG.

Der BFH stellte klar, dass die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens voraussetzt, dass eine Körperschaft neutral, offen und nicht parteiergreifend zur freien und unreglementierten politischen Willensbildung beiträgt. Eine bloße Unterstützung der Meinungsäußerung oder eine indirekte Förderung durch digitale Infrastruktur genügt nicht, sofern diese nicht auf eine Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung in Bezug auf die Ausübung staatlicher Gewalt abzielt. Der Betrieb einer Online-Plattform kann daher nur dann als gemeinnützig anerkannt werden, wenn die auf ihr zur Abstimmung gestellten Anliegen in einem sachlichen Zusammenhang mit der Ausübung von Staatsgewalt stehen und durch ihre Themensetzung grundsätzlich eine parlamentarische Befassung ermöglichen. Anliegen, die ausschließlich private Interessen betreffen – wie etwa Mietverhältnisse oder Boykottaufrufe zwischen Privatrechtssubjekten – erfüllen diese Anforderungen nicht.

Zudem sei entscheidungserheblich, ob sich der Kläger durch die Auswahl unterstützter Kampagnen bestimmte politische Meinungen zu eigen mache und ob seine Kriterien zur inhaltlichen Auswahl die geforderte geistige Offenheit gewährleisten. Die notwendige Neutralität sei gefährdet, wenn der Kläger selektiv solche Anliegen verstärke, die besonders viel öffentliche Aufmerksamkeit erhielten, ohne sicherzustellen, dass die Auswahl objektiv, transparent und themenneutral erfolge.

Der BFH betonte, dass der Begriff des demokratischen Staatswesens weder auf den Anwendungsbereich des Art. 17 GG begrenzt sei, noch eine besondere Intensität der Förderung verlangt werde. Allerdings sei die gemeinnützigkeitsrechtliche Förderung nach § 52 AO inhaltlich auf die dort genannten Zwecke beschränkt und könne nicht zur allgemeinen Förderung der Ausübung von Grundrechten genutzt werden. Auch seien Tätigkeiten, die auf eine parteipolitische Mitwirkung im Sinne des Art. 21 GG gerichtet sind, von der steuerbegünstigten Förderung ausgeschlossen.

Da das Finanzgericht wesentliche tatsächliche Feststellungen unterlassen hatte, insbesondere zur Art der Kampagnen, zur Reichweite der Unterstützung und zu den angewendeten Auswahlkriterien, war die Sache nicht spruchreif. Der BFH verwies sie daher an das Finanzgericht zurück, damit dieses die notwendigen tatsächlichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachhole.

Ausblick

Das Urteil des BFH konkretisiert die gemeinnützigkeitsrechtlichen Anforderungen an Organisationen, die sich auf digitale Weise in den demokratischen Willensbildungsprozess einbringen wollen. Die Entscheidung verdeutlicht, dass die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO nicht jede Form der politischen Meinungsäußerung oder gesellschaftlichen Beteiligung umfasst. Stattdessen ist erforderlich, dass die Aktivitäten in parteipolitischer Neutralität erfolgen, auf einen offenen, strukturell staatsfreien Meinungsbildungsprozess bezogen sind und einen tatsächlichen Bezug zur Ausübung staatlicher Gewalt aufweisen.

Die Entscheidung mahnt zur Differenzierung zwischen förderfähiger politischer Teilhabe und nicht begünstigter Einflussnahme auf politische Entscheidungen oder einseitiger inhaltlicher Positionierung. Körperschaften, die auf digitale Beteiligungsformate setzen, müssen daher besondere Sorgfalt bei der Ausgestaltung ihrer Plattformen und ihrer operativen Auswahlkriterien walten lassen. Von besonderer Relevanz ist zudem die Abgrenzung zur politischen Parteienfinanzierung sowie zu wirtschaftlichen Betätigungen, die gegebenenfalls europarechtlich als Beihilfe einzuordnen sein könnten.

Auch wenn sich das Urteil auf einen gemeinnützigen Verein mit spezifischer digitaler Ausrichtung bezieht, ist es in seiner Tragweite auf eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen übertragbar, die sich im Bereich demokratischer Bildung und Beteiligung engagieren.

Falls Sie ähnliche Fragestellungen oder weitere Informationen benötigen, wenden Sie sich gerne an die Expertinnen und Experten von SCHOMERUS.

Bildnachweis:Zerbor/Stock-Fotografie-ID:470934382

Immer bestens informiert mit den Newslettern von SCHOMERUS

Steuerberatung und Rechtsberatung
Schomerus & Partner mbB
Steuerberater Rechtsanwälte
Wirtschaftsprüfer
Wirtschaftsprüfung
Hamburger Treuhand Gesellschaft
Schomerus & Partner mbB
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Hamburg
Deichstraße 1
20459 Hamburg
Berlin
Bülowstraße 66
10783 Berlin
München
Möhlstraße 35
81675 München
Stralsund
An den Bleichen 15
18435 Stralsund
Pixel