In Deutschland sind bestimmte Bildungsleistungen von der Umsatzsteuer befreit, etwa Schul- und Hochschulunterricht. Doch was ist mit Kursen zur Gewaltprävention oder Persönlichkeitsentwicklung, die an Schulen stattfinden? Sind solche Angebote ebenfalls umsatzsteuerfrei?
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun mit Urteil vom 30.04.2025 (Az. XI R 5/24) entschieden, dass Präventions- und Persönlichkeitstraining als Erziehung von Kindern und Jugendlichen i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) umsatzsteuerbefreit ist.
Die Erziehung von Kindern und Jugendlichen sowie Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung und berufliche Umschulung ist nach der europäischen Befreiungsregelung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL von der Umsatzsteuer befreit. Danach werden Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung begünstigt.
Die Steuerbefreiung dieser Leistungen ist in Deutschland in unterschiedlichen Vorschriften geregelt: Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung und berufliche Umschulung sind nach § 4 Nr. 21 und 22 Buchst. a UStG, die Erziehung von Kindern und Jugendlichen nach § 4 Nr. 23 Buchst. a UStG steuerbefreit. Die Befreiungsvoraussetzungen sind unterschiedlich: Die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 21 UStG erfordert eine staatliche Anerkennung bzw. Bescheinigung, wohingegen § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG bei privaten Anbietern die Gemeinnützigkeit bzw. die Eigenschaft als Berufsverband voraussetzt. § 4 Nr. 23 Buchst. a UStG erfordert dagegen einen Vergleichbarkeit zu den Einrichtungen des öffentlichen Rechts und setzt voraus, dass eine systematische Gewinnerzielung fehlt.
Der Kläger ist ein selbstständiger Präventions- und Persönlichkeitstrainer, der verschiedene Kurse in Schulen und anderen Einrichtungen anbot. Er vertrat die Ansicht, dass seine gegenüber den Schulen angebotenen Konfliktpräventionskurse für Kinder steuerfrei seien. Das Finanzamt lehnte die Steuerbefreiung ab. Die hiergegen gerichtete Klage des Trainers wies das Finanzgericht Berlin-Brandenburg (FG) im ersten Rechtsgang ab. Es fehle bereits an der Qualifizierung als Schul- und Hochschulunterricht. Es komme weder eine Umsatzsteuerbefreiung nach nationalem Recht in Betracht noch könne sich der Kläger auf die MwStSystRL berufen (FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 14.8.2019 - 7 K 7342/16).
Dieses Urteil hob der BFH auf und gab dem FG zur Prüfung auf, ob eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL in Betracht komme. Die Präventionskurse des Klägers könnten als „Erziehung von Kindern und Jugendlichen“ im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sein (BFH, Urteil v. 15.12.2021, Az. XI R 3/20). Daraufhin gab das FG der Klage im zweiten Rechtsgang statt und gewährte dem Trainer die Steuerbefreiung (FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 17.1.2024 - 7 K 7342/16).
Der BFH wies die hiergegen gerichteten Revision des Finanzamts zurück:
Die Umsätze des Klägers seien nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL steuerfrei, weil er eng mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen verbundene Dienstleistungen im Sinne dieser Vorschrift erbracht habe. Die Norm enthalte zwar keine Definition, was unter dem Begriff „Erziehung von Kindern und Jugendlichen“ zu verstehen sei. Erziehung könne aber als planmäßige Tätigkeit zur körperlichen, geistigen und sittlichen Formung junger Menschen zu tüchtigen und mündigen Menschen verstanden werden. Beim Unterricht ginge es dagegen vorrangig um die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Daher sei für die „Erziehung von Kindern und Jugendlichen“ eine über die bloße Wissensvermittlung hinausgehende Vermittlung von sozialen Kompetenzen und Werten erforderlich.
Der Präventionsunterricht des Klägers diene der geistigen und sittlichen Entwicklung der Kinder und trage zur Willens- und Charakterbildung bei. Die Kinder würden unter anderem lernen, eigene Gefühle wahrzunehmen, wie sie sich in schwierigen Situationen wehren können, wer Vertrauenspersonen sind und wie man „gute“ und „schlechte“ Geheimnisse unterscheidet. Durch seine Kurse würden Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl und Resilienz gestärkt werden und die Kinder würden eigene Fähigkeiten und Stärken entdecken. Damit würden die Präventionskurse dem Begriff der Erziehung als Vermittlung von sozialen Kompetenzen und Werten entsprechen.
Auch die persönlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL seien hier erfüllt. Der Kläger sei als „Einrichtung“ mit vergleichbarer Zielsetzung wie die der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben (hier: Erziehung) betraut sind, anzusehen. „Einrichtung“ können auch natürliche Personen sein. Die Gesamtheit der unternehmerischen Tätigkeit des Klägers sei wie bei Einrichtungen des öffentlichen Rechts auf eine Erziehung von Kindern ausgerichtet.
Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL ist mit Wirkung zum 1.1.2020 durch den neuen § 4 Nr. 23 Buchst. a UStG in nationales Recht umgesetzt worden. Der Streitfall trat bereits vor Inkrafttreten dieser nationalen Vorschrift ein. Deshalb hat der BFH bereits im ersten Rechtsgang entschieden, dass sich der Kläger unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL berufen könne, da die richtlinienkonforme Umsetzung im nationalen Recht noch fehlte.
Das Urteil des BFH wird daher wohl vorrangig für Sachverhalte vor dem Inkrafttreten von § 4 Nr. 23 Buchst. a UStG am 1.1.2020 relevant werden. Durch die Umsetzung in das nationale Recht ist eine unmittelbare Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL für die Steuerbefreiung von Erziehungsleistungen ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich nicht mehr möglich.
Ob Kurse zur Gewaltprävention oder Persönlichkeitsentwicklung als „Erziehungsleistungen“ zu betrachten und umsatzsteuerbefreit sind, ist damit grundsätzlich an § 4 Nr. 23 Buchst. a UStG zu messen. Zu beachten ist dabei, dass der nationale Gesetzgeber in § 4 Nr. 23 Buchst. a UStG zusätzlich bestimmt hat, dass die Steuerbefreiung von Umsätzen in Zusammenhang mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen nur gewährt wird, wenn keine systematische Gewinnerzielung angestrebt wird. Gleichzeitig macht das Urteil des BFH deutlich, welche Leistungen gegenüber Kindern und Jugendlichen im Bereich der Prävention und Persönlichkeitsentwicklung dazu geeignet sind, als umsatzsteuerfrei zu sein.
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